GOLDHYPOTHEKEN
UND GOLDPRODUKTION
von
Ulrich von Beckerath, Berlin, 7.9.1950
(Wahrscheinlich geschrieben
an: "Westdeutscher Immobilienmarkt", vergl. Beckerath's Aufsatz
"Goldwaehrung und Immobiliarkredit" in der Ausgabe van 1.9.1950. J.Z.
222/1/83.)
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Die
von Ihnen in Ihrem Aufsatz "Die Planwirtschaftler" in der Ausgabe vom
3.8.1950 bekaempfte Meinung, die Goldproduktion habe wirtschaftlich untragbare
Schwankungen des Goldwertes bewirkt, ist tatsaechlich eines der groessten,
mentalen Hindernisse fuer die Wiederherstellung der Goldwaehrung. Die Anhaenger
einer Plan-Waehrung weisen immer wieder und meistens mit Erfolg, darauf hin,
dass - - angeblich - - nach 1492 (Entd. Am.) durch das amerikanische Gold und
das Silber eine fast unglaubliche Preisrevolution bewirkt worden sei; sie
weisen auch auf die Preiserhoehung hin, die vor etwa 100 Jahren eintrat,
nachdem i.J. 1848 in Kalifornien die grossen Goldfelder entdeckt worden waren.
Die Behauptungen der Planwirtschaftler halten aber einer Nachpruefung nicht
stand. Nimmt man Zeitungen aus der Zeit vor 100 Jahren zur Hand, so findet man,
dass die 50-er Jahre des 19-ten Jahrhunderts Zeiten allerschlimmster Missernten
gewesen sind. Das Jahr 1855 war ausserdem dos kaelteste Jahr seit Jahrzehnten.
Darwin schaetzt, dass damals 4/5 aller Voegel in England erfroren sind. Sehr
verschaerft wurde der allgemeine Mangel noch durch den i.J. 1853 vom Zaren
Nikolaus begonnenen Krieg gegen die Tuerkei, in den dann England, Frankreich
und Sardinien eingriffen. Der Kriege wurde noch einem fuer damals gewaltigen
Verbrauch an Material aller Art erst i.J. 1856 beendet. Die noch solchen
Vorgaengen unvermeidlichen Preiserhoehungen der Goldproduktion zuschreiben,
beweist entweder Unkenntnis der Geschichte oder Mangel an Kausalitaetssinn.
Uebrigens war die Indexzahl der Rohstoffpreise fuer 1856 (= 105,2) schon i.J.
1859 wieder auf 89 gefallen, also auf fast den gleichen Stand wie i.J. 1846, wo
sie 88 betrug. (Statistisches Jahrbuch f. d. Deutsche Reich, 1937,
"Indexziffern der Rohstoff preise von 1792 bis 1930.)
Die Behauptung, dass die vermehrte Edelmetallproduktion nach
1492 die Ursache der Preiserhoehungen im folgenden Jahrhundert gewesen sei,
entstand schon zu jener Zeit, sie wurde dann kritiklos von den folgenden
Generationen uebernommen. Sogar ein Denker wie Adam Smith beruft sich einfach
auf die allgemeine Meinung und sagt im XI. Kap. des l. Buches seines
Hauptwerkes: "There never has been any dispute". Es ist uebrigens die
einzige Stelle bei Adam Smith, wo er, anstatt wie sonst ueberall, selbst zu
untersuchen, sich auf die Meinung anderer beruft. Seitdem aber Alexander von
Humboldt alle Nochrichten ueber die Edelmetallproduktion jener Zeit gesammelt
hat, kann die fruehere Meinung nicht mehr aufrechterhalten werden. Die Zahlen
Humboldts sind spaeter ergaenzt worden und bilden heute die Grundlage der
internationalen Statistik ueber die Edelmetallproduktion. In den Statistischen
Jahrbuechern f. d. Deutsche Reich wurden sie regelmaessig angegeben und auf den
jeweils neuesten Stand gebracht. Im Jahrgang 1913 findet man:
Jahre Goldproduktion, Silberproduktion Wertverhaeltnis von Gold zu
in Kilogramm Silber
in Kilogramm
1493-1520: 162 400 1 316 000 1
: 10,50-11,10
1521-1544: 171 840 2 164 800 1
: 11,25
1545-1560: 136 160 4 985 600 1
: 11,30
1561-1580: 136 800 5 990 000 1
: 11,50
1581-1600: 147 600 8 378 000 1
: 11,80
---------------------
754 800 22 834
400
Nimmt
man ein durchschnittliches Wertverhaeltnis waehrend der 108 Jahre von l : 11,5 an, so ergibt sich, dass die rd. 22 Mill. kg.
Silber = 1 986 000 kg. Gold wert waren. Der Goldwert
der Edelmetallproduktion betrug also in den 108 Jahren
= 754 800 kg
+ 1 986 000 kg
-------------
+ 2 740 800 kg.
Nimmt man weiter an, dass im
Durchschnitt die Anzahl der Menschen, die ihre Gueter in Edelmetall bewerteten,
im 16-ten Jahrhundert rd. 100 Millionen gewesen ist, so ergibt sich, dass pro
Kopf der Zuwachs an Edelmetall, in Gold ausgedrueckt, gleich 27,4 Gramm war.
(I.J. 1800 war die Bevoelkerung Europas erst 175 Millionen.)
Von
dem neu produzierten Gold gelangte nur ein Teil in die Zirkulation. Sehr viel
wurde zu Luxusgegenstaenden und zu Kirchgeraeten verarbeitet. Kaum weniger
floss zum Orient ab um dort Luxuswaren zu kaufen und verschwand dann in den
Schatzkammern der Regenten und der Wohlhabenden. Stuerme und Seeschlachten
versenkten manches mit Edelmetall beladene Schiff. Viel wurde waehrend der
Kriege vergraben und wartet vielleicht heute noch auf Wiederentdeckung. Der
Zuwachs betrug also viel weniger als jaehrlich im Durchschnitt 27,4 : 108 = 0,254 g. Eine alte Goldmark enthielt 1000: 2790
= 0,358 g.
Nun ist es natuerlich
ausgeschlossen, dass ein durchschnittlicher, jaehrlicher Geldzuwachs von viel
weniger als einer Goldmark merkliche, preiserhoehende
Wirkungen ausgeuebt haben kenn. Mancher wird einwenden: aber vielleicht doch
bei dem damaligen Preisniveau! Die Preise waren damals aber denn doch so
niedrig nicht, das sie mit den spaeteren ueberhaupt
nicht verglichen werden koennten. Adam Smith teilt mit, dass ein Quarter Weizen
zu Windsor im Durchschnitt der Jahre 1453 bis 1497 vierzehn Schill. und l Penny
kostete, in den Jahren 1741 bis 1750 ein Pfund und 13 1/2 Schill. (rd.),
Veraenderungen von Mass und Muenzfuss beruecksichtigt. Quartsch, Kompendium der
Nationaloekonomie, gibt an, dass von 1510 bis 1600 die Preise um 150% gestiegen
seien. Adam Smith bemerkt auch, dass in England die Preissteigerung erst seit
1570 bemerkenswert war, obwohl damals die Bergwerke von Potosi schon mehr als
20 Jahre in Betrieb waren. Die Preiserhoehungen waren also weder so gross, wie
sie meistens hingestellt werden, noch kann die vermehrte Edelmetallproduktion
ihre Ursache gewesen sein.
Preiserhoehend muss damals der allmaehliche Uebergang von der
Naturalwirtschaft zur Geldwirtschaft gewirkt haben. Ferner: Der verbesserte Verkehr
machte es moeglich, Gueter mit gutem Gewinn zu verkaufen, die vorher kaum einen
Geldwert hatten, z.B. das von den Leibeignen den Landbesitzern gelieferte
Getreide. See-Fische, von den Kuestenbewohnern frueher oft als Duenger
verwendet, wurden ein sehr wichtiger Handelsartikel. Roscher datiert den Beginn
des Uebergewichts des Nordens ueber den Sueden von dem Tage, an dem der
Hollaender Beuckel (gespr. Boekel) die Kunst erfand, Heringe
einzu-"poekeln".
Die Bedenken gegen die Annahme einer merklichen Einwirkung der
Edelmetallproduktion auf die Preise werden verstaerkt durch die Zahlen fuer die
spaetere Produktion. In den Jahren 1881 bis 1885 wurden noch dem Statist.
Jahrb. produziert 774 795 kg. Gold und 14 042 000 kg Silber. Bei einem
durchschnittlichen Wertverhaeltnis von 1 : 18,63 war
das Silber gleichwertig 754 000 kg Gold. Der Goldwert der Produktion betrug
daher:
774 795 + 754 000
= 1528 795 kg. Gold.
Die Anzahl der Menschen, die
damals nicht mehr in Naturalwirtschaft, Kaurimuschelwirtschaft u. dgl. lebten,
kann man auf etwa l Milliarde veranschlagen, so dass sich fuer die 5 Jahre pro
Kopf ein durchschnittlicher, jaehrlicher Zuwachs von 0,306 Gramm Gold ergibt.
Hiervon waere der Verbrauch fuer die Industrie und anderes abzuziehen. Es ergibt
sich also fast der gleiche Zuwachs pro Kopf wie fuer dos l6-te Jahrhundert. Die
Jahre 1881 bis 1885 waren aber Jahre eines scharfen Preisrueckganges.
(Indexzahlen von 1881 bis 1885 fuer Rohstoffe = 85-81-80-78-74.) Nun ist es
natuerlich ausgeschlossen, dass die gleiche Ursache unter nicht wesentlich
anderen Umstaenden einmal eine grosse Preiserhoehung bewirkt hat, dass ein
andermal aber zur Zeit ihres Wirkens eine grosse Preissenkung beobachtet wurde.
Es hat eben in Wirklichkeit ueberhaupt kein Einfluss auf das Preisniveau
stattgefunden. Kenner wie Wieser und Bonn haben dies ja schon vor
dem ersten Weltkrieg behauptet.
Besondere Beachtung verdient der Hinweis in Ihrem Aufsatz
"Die Planwirtschaftler", dass die als Preisrevolution hingestellten
Preisveraenderungen frueherer Jahrhunderte noch nicht so viel ausgemacht haben
als oft die von Regierungen durch ihre Inflationen oder Abwertungen bewirkten
Preiserhoehungen in wenigen Jahren oder gar Monaten. Auch wer die Goldwaehrung
als ein monetaeres Uebel ansieht, wird nicht umhin koennen, zuzugeben, dass sie
ein kleineres Uebel ist als irgend eines, das uns die unruehmliche Geschichte
der durch Regierungsgewalt geschaffenen oder "gelenkten"
Papierwaehrungen kennengelehrt hat.
Der Wiederaufbau Deutschlands, und nicht nur Deutschlands,
haengt davon ab, dass wieder von privater Seite Hypotheken gegeben werden. Ohne
Goldwertgrundlage sind aber keine zu haben. Vernuenftige Gruende gegen die
Goldwertgrundlage gibt es nicht, und am wenigsten faellt ins Gewicht die
Behauptung, dass die Goldproduktion "erwiesenermassen" den Wert von
Goldhypotheken in untragbarer Weise habe schwanken lassen. Die Planwirtschafter
verkennen auch die Rechtslage. Die Menschen haben sich Regierungen gewaehlt, um
in ihren Rechten geschuetzt zu werden, nicht aber um von Nichtskoennern und
Nichtswissern bevormundet zu werden. Wer zu den Regierungs-Planwirtschaftern
Vertrauen hat, der moege seine Beziehungen zu seinesgleichen nach deren
Ratschlaegen einrichten; er moege sein Geld auf der Grundlage einer Popiermark
ausleihen, die noch einem Regierungs-"Plan" bewertet wird; er moege
auch als Arbeiter Papiermarkloehne fordern, ebenso fundiert. Die Anhaenger der
Goldwertwaehrung werden ihnen da keine Schwierigkeiten machen; sie sind gewiss
auch bereit, ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Papiermarkanhaengern ganz
noch deren Menschen einzurichten. Wie aber die aendern nach ihren Erfahrungen
mit der Regierungsplanwirtschaft ihre wirtschaftlichen Beziehungen zueinander
regeln, das werden sie noch eignem Ermessen bestimmen. Wer sie hindert,
verletzt ein elementares Volksrecht.
7.9.1950.
Bth.
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First published in: Ulrich von
Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe,
Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 441 (Mikrofiche), Berrima,
Australia, 1983. Pages 1607-1608.